17.04.2002  Jetzt ist es Zeit für Yangon

Der gleiche Minibus, der uns am ersten Tag herbrachte, bringt uns auch wieder zum Flughafen zurück. Wieder haben wir die Rucksäcke schon fertig verschnürt, aber auch diesmal muss ich meinen wieder aufmachen. Ich habe nämlich ein Feuerzeug in der Hosentasche und es reicht den Beamten nicht, dass ich das ins Handgepäck stecke, es muss in den grossen Rucksack! Während ich also mein Gepäck zu einer kleinen Bank schleppe und versuche, den Rucksack wieder aufzuschnüren, schaut einer Beamten genau auf das, was ich tue. Und erst, als das Feuerzeug in den Tiefen des Rucksackes verstaut ist, grüsst er noch einmal und lässt mich dann allein. Immerhin muss ich mich nicht noch einmal anstellen zum Einchecken! Etwas wehmütig nehmen wir Abschied von Ngapali und können aus dem Flieger noch ein letztes Mal unsere Bucht von oben betrachten. Schön war es hier, da sind wir uns alle einig!
Der Ankunft in Yangon sehe ich mit gemischten Gefühlen entgegen, sicher freue ich mich auf die Shwedagon-Pagode, von der wir schon so viel gelesen haben, aber ich erinnere mich auch noch an die höllische Hitze, den Gestank und den Lärm am Anfang unserer Reise und hoffe, dass mir der zweite Besuch in Yangon besser gefallen wird und ich mit der Hitze besser klar komme. Bei Dieter ist es ähnlich, aber er meint auch, da muss man jetzt einfach durch!
Ansonsten verläuft der Flug ruhig und nach knapp einer Stunde landen wir in Yangon. Sabine und Astrid werden abgeholt und so fahren wir einfach mit und hoffen auf unser Glück. Und tatsächlich: Im Three Seasons angekommen, werden auch wir herzlich begrüsst und können uns gleich unser Zimmer ansehen. Alles ist sauber und grosszügig, das Zimmer hat Klima und auch ein schönes Bad, also bleiben wir hier!
Nach dem Einchecken treffen wir uns draussen mit Sabine und Astrid, die es sich auf der Bank vor dem Hotel schon gemütlich gemacht haben und einen Tee geniessen. Dieter und ich tendieren eher zu einem Bier und dann planen wir, wie wir den Rest des Tages und den morgigen verbringen wollen. Erstmal wollen wir heute in den Park der Verliebten (Kandawgyi Park oder auch People´s Park) gehen und anschliessend zur Shwedagon, denn heute ist Buddhistisches Neujahr und somit ist dort bestimmt auch viel los. Morgen wollen wir auf den Markt und versuchen, eine Brille für mich zu bekommen und den letzten Tag in Burma dann langsam ausklingen lassen.

Yangon (= Ende des Kampfes) wurde 1885 (bis 1947) von den Briten zum Regierungssitz gemacht. Die Strassen im Zentrum sind breit und nach dem typischen britischen Rastermuster ausgerichtet; überall spenden Bäume – sogar alte Teakbäume – Schatten und schillernde Stupas erheben sich über die Baumwipfel. 1995 verbot man den Verkauf von Betelnüssen, um die blutroten Speichelflecken vom Strassenpflaster zu verbannen, doch die Strassen sehen aus wie eh und je. Wir ziehen also per Taxi los zu unserem ersten Ziel: dem Kandawgyi-Park (sprich: Kandotschi-Park).

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Wörtlich übersetzt bedeutet er „königlicher“ (dawgyi) „See“ (kan). Zur Zeit des Sonnenuntergangs spiegelt sich die glitzernde Shwedagon auf der ruhigen Wasseroberfläche. Am Ostufer liegt die Karaweik, eine Nachbildung eines königlichen Schiffes aus Beton in Form einer Gans, mit hellglänzender Goldfarbe bemalt. Im Park selbst finden sich zahlreiche kleine Statuen, zum Teil chinesischer Abstammung. Zu jeder Statue gehört ein kleiner Opferplatz, wo sich Räucherstäbchen, Blumengebinde und auch Gläser mit Fanta oder Cola tummeln. Verliebte Päarchen haben keine Mühe, ein ruhiges abgelegenes Örtchen zum Turteln zu finden.

Der Weg vom Park zur Shwedagon ist an sich ein Abenteuer; zunächst erstmal die unheimliche Hitze, die wir trotz des Strandaufenthaltes kaum ertragen können. Wir laufen mit dem Plan in der Hand in Richtung Park, immer der noch immer hoch am Himmel stehenden Sonne entgegen; links und rechts auf den Bürgersteigen finden sich unzählige kleine mobile Restaurants, mit Minihockern aus Plastik davor, an denen sich die Männer den hier üblichen Tee schmecken lassen und den Verlauf des Tages diskutieren. Nach einigen hundert Metern entdecken wir einen kleinen Park mit einer Urwaldlandschaft; riesige alte Bäume stehen hier und der Weg führt zu einem tief im Unterholz versteckten kleinen Weiher. Ursprünglich sollte dies wohl ein Restaurant sein, doch das Gebäude ist verschlossen. Durch die staubigen Scheiben können wir einen Blick ins Innere erhaschen und wieder sehen wir die Ausstattung eines Salons, wie man sich eben einen Salon vorstellt: mit rotem Plüsch bezogene hochlehnige Stühle an aus dunklem Holz gefertigten Tischen, vereinzelt sogar mit Decke, aber alles macht einen verlassenen Eindruck. Wir versuchen, eine Abkürzung durch die kleine Wildnis zu finden, scheitern aber an verschlossenen Toren, so dass wir den ganzen Weg zurück gehen und den Berg hoch zur Shwedagon erneut in Angriff nehmen.
Plötzlich wird es lauter um uns herum, viele Menschen sind auf einmal da und gehen zielstrebig auf eine Kreuzung zu; linkerhand steht eine Pagode, golden strahlt die Kuppel in der Abendsonne, aber es ist nicht die Shwedagon: die steht gegenüber, ist bestimmt dreimal so gross und vor dem Eingang drängen sich hunderte in bunten Farben gekleidete Yangoner, auch einige Touristen können wir entdecken, doch die sind unübersehbar in der Minderheit.

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Die Shwedagon gilt als der heiligste Schrein ganz Myanmars und ist das Wahrzeichen des Landes. Jeder burmesische Buddhist hat das Ziel, sie zumindest einmal im Leben zu besuchen. Heute, am 17. April, feiern die Buddhisten ihr Neujahrsfest und dementsprechend viele Menschen haben sich hier eingefunden. Für je 5 US $ erwerben wir am Ostaufgang zwei Eintrittskarten, die uns auch erlauben, den Aufzug zur erhöhten Plattform zu benutzen, doch wir folgen dem Beispiel der Burmesen und wollen zu Fuss den langen Aufgang bezwingen.
Wie alle anderen Aufgänge auch wird die breite Treppenflucht von zahlreichen Geschäften gesäumt, in denen die Gläubigen Blumen – echte und kunstvoll aus Papier gefertigte – für ihre Opfergänge erwerben können. Daneben findet sich ein reichhaltiges Angebot an zeremoniellen Papierschirmen, Buddhastatuen und –bilder, Goldthrone, Elfenbeinkämme, Bücher, Antiquitäten und Räucherstäbchen. Obwohl draussen noch immer eine schier unerträgliche Hitze herrscht und mehrere tausend Menschen um uns herum sind, ist der Treppenaufstieg kühl und wirkt irgendwie friedlich; die Atmosphäre ist ruhig und gedämpft und dann stehen wir – erschlagen vom Menschen- und Farbenmeer – auf der oberen Plattform. Hier erhebt sich nicht nur der riesige goldene Zedi der Shwedagon, sondern ringsherum schart sich eine Ansammlung kleinerer Stupas, Zedis, Statuen, Tempel und „Tazaung“ – Pavillons. Das glänzende Gold der Hauptstupa lässt alles heller und überlebensgross erscheinen. Den Marmorboden und auch die Mattenwege, denen man wie bei allen buddhistischen Bauwerken immer im Uhrzeigersinn folgen sollte, sind vor lauter Menschen nicht zu erkennen. Jeder Millimeter ist bedeckt, so dass selbst die Sonne keine Chance mehr hat, den Boden zu erwärmen, der ansonsten aufgrund der Hitze mit blossen Füssen nicht zu ertragen ist – denn natürlich haben wir am Treppenaufgang bereits unsere Schuhe ausziehen müssen und haben den ganzen Aufstieg barfuss hinter uns gebracht. Die Plattform bedeckt eine Fläche von rund 5 Hektar. Der 6,40m hohe Sockel der Hauptstupa hebt die Shwedagon schon majestätisch über die unbedeutenderen Bauten der Plattform hinaus.
Auf dieser Basis stehen weitere, kleinere Stupas – jeweils eine grosse in jeder Himmelsrichtung, eine mittelgrosse in jeder Ecke des Grundvierecks und 60 Miniaturstupas, die den Rand säumen.
Die Bananenknospe ist das letzte Element des Zedi, bevor dieser im Haupt-Hti (Schirm) endet. Wie die unter ihr befindliche Lotusebene ist auch die Bananenknospe mit sage und schreibe 13.153 (!) jeweils 30 cm² grossen Goldplatten bedeckt. Darüber befindet sich eine Pyramide von sieben Htis aus Schmiedeeisen gefertigt und mit Blattgold überzogen – selbst ohne die herabhängenden Glöckchen wiegt sie weit über eine Tonne. Gekrönt ist die Shwedagon von einer beweglichen Windfahne aus Gold und Silber, die mit 1.100 Diamanten besetzt ist. Oben auf der Fahne ruht das „diamantene Auge“ des Bauwerks – eine hohle Goldkugel, die mit 4.351 Diamanten mit einem Gesamtgewicht von 1.800 Karat besetzt ist. Die Spitze des „Auges“ bildet ein einziger 76-karätiger Diamant (Quelle: Loose).

Das alles haben wir natürlich nicht sofort sehen können; zu sehr sind wir gefangen von der unwahrscheinlichen Pracht, den die Stupa ausstrahlt. Verbunden mit den unzähligen Männern, Frauen und Kindern in ihren bunten Gewändern, dem allgegenwärtigen Geschnatter und dem immerzu neuen, was es zu entdecken gilt, sind unsere Sinne bald überladen und wir wandern langsam staunend im Uhrzeigersinn um die Plattform herum.
Mir wird das alles bald zu viel und ich sehne mich nach einem ruhigen Plätzchen, um die Eindrücke verarbeiten zu können; Dieter dagegen sieht überall ein filmenswertes Objekt und ist bald umringt von neugierigen Burmesen, die mit offenen Mündern darüber staunen, dass das, was sie sehen, auch auf dem kleinen Monitor der Filmkamera erscheint. Als wir uns dann endlich einen Sitzplatz ausgesucht hatten, sehen wir gegenüber Sabine und Astrid lachend und winkend. Zufälle gibt es halt nicht. Sie sind mit dem Aufzug hochgefahren und geniessen einfach von ihrem Plätzchen das bunte Treiben der Burmesen an diesem heiligen Ort.
In jedem der vielen kleinen Pavillons sehen wir betende und opfernde Menschen, die Räucherstäbchen verbrennen und ihre Sutras murmeln. Trotz der tief religiösen Atmosphäre wirkt diese dennoch nicht erdrückend, sondern offen, ja fast lustig und keineswegs düster. Die Menschen sind alle freundlich und haben für uns Touristen immer eine freundliche Geste oder ein Lächeln übrig.

Nachdem wir uns das Treiben auf der oberen Plattform lange genug angesehen haben, beschliessen wir, durch den südlichen Treppenaufgang wieder hinunter zu gelangen. Zwei 9m hohe Chinthe (Fabelwesen: halb Löwe, halb Greif) bewachen den Südaufgang. Hinter den beiden Hinterläufen des Löwen sehen wir ein kleines Lager aus Wolldecken; hier ruhen sich zwei Frauen mit ihren kleinen Kindern aus und halten ein kleines Schläfchen, während ein kleiner Bub völlig ohne Scheu auf dem Löwen herumkrabbelt und uns freudig erregt in burmesisch irgendetwas zuruft. Wir lachen einfach mit und gehen im Stillen davon aus, dass er uns wohl verkohlt hat. Und dann schauen wir den breiten Aufgang nach draussen hinunter und mir fährt schlichtweg das Herz in die Hose: Tausende und Abertausende Menschen drängen sich hinauf und hinunter, kein Meter Treppe ist zu sehen und überall nur das Gewimmel der Menschenmassen! Ich bin völlig fertig und trotte nunmehr missmutig hinter Dieter her, den das alles über alle Massen fasziniert. Im Gegensatz zu ihm kann ich im Augenblick diesen Anblick nicht gelassen aufnehmen und mich über die vielen bunten Köpfe und den Gesamteindruck freuen; ich will mich nur noch hinsetzen, etwas trinken und gar nichts mehr machen. Als wir dann endlich auch diesen Andrang hinter uns gelassen haben, stehen wir plötzlich mitten auf einem kleinen Markt, hier kaufen wir eine Cola und lauschen zunehmend entspannt dem burmesischen Gebet eines Mönches, der in einem der Strassencafes vor einem Mikrofon sitzt und anscheinend eine öffentliche Andacht hält. Irgendwie scheint das auch auf mich positiv zu wirken und ich bin wieder bereit, weiter mit Dieter auf Entdeckungsgang zu gehen.

So langsam wird es dunkel und wir haben noch immer nichts gegessen, also suchen wir nach einer entsprechenden Lokalität. In einem einer grossen Garage ähnelnden Lokal mit offenem Feuer und ein paar einfachen Holztischen und Bänken lassen wir uns dann nieder und bestellen erstmal ein kühles Myanmar-Bier. Es schmeckt einfach köstlich und so erfrischt erspähe ich hier auch wieder den Holzöffner, den ich ja auch in Bagan bereits gesehen hatte und den Dieter dann geschenkt bekam. Dieter ist halt Gentleman und hat gleich mit dem Besitzer um das gute Stück gefeilscht und nach 10 Minuten und einem weiteren Bier bin auch ich stolzer Besitzer dieses wunderbaren Andenkens.
Wir bestellen Suppe und Sate; beides phantastisch heiss und scharf, wenn auch nicht gerade viel, aber so gross ist unser Hunger auch nicht mehr und nach dem obligatorischen Gang zur nicht vorhanden Toilette (wozu hat man die Natur?) versuchen wir im nunmehr stockdunklen Yangon ein Taxi zu ergattern – aber so einfach ist das gar nicht!

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Von der Kreuzung, wo wir stehen, können wir die im Scheinwerferlicht strahlende Shwedagon vor dem tiefblauen Nachthimmel bewundern und haben fast kein Auge mehr für ein Auto, das uns nach Hause bringen soll.
So gelingt es uns auch erst nach einer halben Stunde, mit mehr Glück als Verstand und einem Aufpreis von 500 Kyat ein Taxi zu bekommen. Noch ein letztes Bier vor der Tür in der lauen Nacht und dann nichts wie ab unter die Dusche. Der Nachmittag mit dem abschliessenden Besuch der Shwedagon ist mehr als aufregend gewesen und beschäftigt auch meine Gedanken noch eine lange Zeit, ehe der Schlaf uns einholt.

 
18.04.2003  Brillenkauf, Markt und Yangonriver

Unser letzter Tag in Yangon beginnt wie immer mit einem gemütlichen Frühstück zusammen mit Sabine und Astrid. Wir haben nur ein kleines Programm. Zuerst wollen wir in die Swe Bontha Lan, wo sich ein Optiker an den anderen reiht (die Brillenstrasse haben wir sie bei unserem ersten Besuch vor vier Wochen genannt); hier werde ich versuchen, mir noch vor dem Heimflug eine neue Brille machen zu lassen – schliesslich sind wir in Asien und hier ist alles möglich! Danach steht auf jeden Fall noch ein Besuch auf dem berühmten Bogyote Aung San Market auf unserer Liste und den Rest des Tages wollen wir an den Yangon-River gehen und damit auch Abschied von dieser Stadt nehmen.

Bevor wir aufbrechen, sitzen wir noch vor dem Hotel und beobachten das Treiben vor dem Haus.

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Ein ganzes Kloster scheint vorbeizuflanieren. Die Mönche gehen in Richtung Yangonriver, jeder mit seiner schwarzen Opferschale in den Händen und mit ernsten Gesichtern. An jeder Strassenseite stehen Frauen mit grossen Reisschüsseln im Arm und warten darauf, Ihre Gabe an die Mönche zu verteilen. Sie stehen oft schon mitten in der Nacht auf, um mehrere Kilo Reis zu kochen, den sie dann am Morgen verteilen können. Für diese Menschen ist eine Gabe an die Mönche eine grosse Ehre und sie erwarten keinen Dank, der auch nicht kommt. Mit unbewegten Minen nehmen die Mönche den Reis entgegen, kein freundliches Lächeln, kein auch nur leichtes Nicken mit dem Kopf quittiert die Spende, die sich die Menschen oft sogar noch vom Mund abgespart haben. So wie in diesem Land haben wir noch nie die Achtung der Bevölkerung vor den Mönchen erlebt. In unseren westlichen Augen scheint dies Bettelei zu sein, in der Kultur der burmesischen Buddhisten ist die Annahme einer Gabe von den Mönchen Belohnung genug und wird im nächsten Leben quasi gutgeschrieben.
Nachdem wir das Schauspiel genossen haben und ein paar Szenen auch in Film und Foto festgehalten haben, laufen wir der Prozession hinterher, um irgendwo am Strassenrand ein Taxi zu ergattern, das uns zu unserem ersten Ziel bringen wird – der Swe Bontha Lan.
An der Ecke Mahanbandoola Lan (in deren Verlängerung die Sule Paya zu sehen ist) und Swe Bontha Lan halten wir an und sehen, dass nur drei Strassen weiter der Markt beginnt. Wir brauchen also nicht nochmal ein Taxi zu bemühen. Langsam gehen wir die Strasse entlang; es ist einfach unglaublich, dass sich hier dicht an dicht eine Unmenge von Optikern und Brillenläden aneinanderreiht! Die Geschäfte sind oft nicht breiter als drei Meter und erstrecken sich von der Strasse weg vielleicht fünf Meter weit, aber das Angebot ist erschöpfend. Wirklich für jeden Geschmack ist hier etwas zu finden. Auffallend ist jedoch, dass es sich ausschliesslich um Inder zu handeln scheint, die in diesem Gewerbe tätig sind.

Da wir keine Ahnung von der Qualität haben, vergleichen wir zunächst die Preise, aber die sind überall in etwa gleich und so entscheiden wir uns für das nächste Geschäft. Gleich kommt der Inhaber auf uns zu, verbeugt sich und fragt nach unseren Wünschen. Ich versuche zu erklären, was passiert ist und zeige ihm die Überreste meiner Brille. Währenddessen ist auch seine Frau hinzugetreten und sobald sie die Gläser, die ja noch in der Fassung gehalten werden, erblickt hat, holt sie aus einem der unzähligen Regale drei Fassungen herbei. Zwei davon haben einen Goldrand und scheiden somit schon mal aus, aber die dritte sieht gut aus. Klein, so dass meine Gläser vermutlich nur unwesentlich ungeschliffen werden müssen und die Farbe ist ein dunkles Metallikbraun. Ich probiere die Fassung auf – passt und gefällt! Der Inhaber untersucht die Gläser (No problem, it will be ready in two hours – so sein Kommentar) und das Feilschen um den Preis beginnt. Wir einigen uns auf 45 US$ – ein annehmbarer Preis, wenn man bedenkt, was das in Deutschland kosten würde und vor allem ist die Brille in zwei Stunden fertig – das gibt’s halt nur in Asien. Der Deal ist perfekt und mit Verbeugungen werden wir wieder auf die mittlerweile stickig-heisse Strasse entlassen.
Wir können es kaum fassen, dass das ganze innerhalb von 15 Minuten erledigt ist und schlendern gemütlich den Weg zurück, um wenigstens schon mal den Markt von aussen zu betrachten. Die Entfernung ist weniger gross, als wir denken und so beschliessen wir, den Marktbesuch gleich in Angriff zu nehmen, denn die Hitze wird immer grösser und wird kurz nach dem Mittag ihren Höhepunkt erreicht haben und dann wird der Besuch im Gedränge des Marktes wahrscheinlich unerträglich. Der Markt erstreckt sich über zwei Strassenzüge, drinnen ist es entgegen unserer Erwartung sehr luftig und relativ kühl, keine Spur von Gedränge oder eng beieinanderliegenden kleinen Ständen! Hier hat jedes „Geschäft“ seinen festen Stand, mal grösser oder kleiner, je nach Art des Angebotes. Breite Gänge ermöglichen es, den Überblick zu behalten und grosse Schilder, die hoch oben angebracht sind, weisen den jeweiligen Standort aus. Die Farben sind überwältigend und das Angebot der Waren einfach unbeschreiblich.

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Von Bekleidung über Kurzwaren, Schmuck und High-Tech bis „Kunst“ ist alles vorhanden, was das Herz begehrt und selbst das Geldtauschen ist kein Problem, wir werden bestimmt dreimal angesprochen, ob wir keine Dollar tauschen wollen. Als wir uns dann endlich dazu entschliessen, werden wir kreuz und quer durch den gesamten Marktbereich geführt und immer wieder schaut sich unser Geldwechsler misstrauisch um. Wir befürchten, dass es mal wieder nicht erlaubt ist und der Ablauf unseres Geschäfts gibt uns Recht: Als wir seinen Stand erreicht haben, werden verstohlen Dollars gegen Kyatt getauscht und verschwinden unauffällig in unseren jeweiligen Geldbeuteln – good for you, good for me!
Da wir keinen direkten Wunsch haben, schlendern wir durch alle Gänge, lassen uns berieseln vom Gesumme um uns herum und erfreuen uns einfach an dem vielfältigen Angebot. Armut ist hier nicht zu bemerken, aber das ist oberflächlich; oftmals sind die Waren auf Kommission bezogen und die kleinen Verkäufer müssen zunächst mal in Vorlage treten; als Fremde sind wir natürlich immer potentielle Käufer und dazu noch „gut betucht“, daher werden wir von allen angesprochen (look, look!), aber niemals werden die Leute aufdringlich oder verfolgen uns gar.
Ich beschliesse, ein schönes, einfaches Mönchsbild zu erstehen. Es ist auf weissem Hintergrund mit Kreide gemalt und zeigt einen jungen Mönch mit kritischem Blick; die Farben sind lediglich in roten und schwarzen Tönen gehalten und es hat mich gleich angesprochen. Wir handeln, gehen fort, werden wieder zurueck geholt und schliesslich habe ich das Werk dann für fünf Dollar erstanden. Anscheinend ist dies der erste Verkauf, denn alle Bilder werden erstmal mit dem Geld betupft – hier ist es also genauso wie in Thailand: der erste Verkauf am Tag ist der wichtigste!
Dieter will auf jeden Fall noch einen dieser schönen aussen schwarzen und innen roten Mönchsschirme kaufen, ich schliesse mich an und weiter geht’s zum nächsten Stand. Hier das gleiche Spiel, feilschen, auspacken, einpacken, weggehen, wiederkommen und nach 20 Minuten hat jeder von uns seinen Schirm im Arm. Zuguterletzt kaufe ich noch ein paar neue Strandschuhe, denn meine haben jetzt ausgedient. Über viele Urlaube haben sie Strand, Strassen und die Felder Asiens ausgehalten, jetzt fallen sie mir bald von den Zehen. Und auch hier haben wir Erfolg und nachdem wir alles verstaut und uns mit einer kalten Cola erfrischt haben, ist es auch Zeit, uns um die Brille zu kümmern. Wir gehen mitsamt unseren Einkäufen zurück zur Swe Bontha Lan und suchen erstmal den Laden – das ist gar nicht so einfach, denn die Geschäfte sehen alle gleich aus und nur, weil der Inhaber uns erkennt und uns zuwinkt, haben wir den richtigen gefunden. Noch einmal anprobieren, die Fassung wird angepasst und dann bin ich stolzer Besitzer einer in Burma angefertigten Brille mit meinen eigenen Gläsern und das für ganze 45 Dollar! Es ist kaum zu glauben. Mit dem Taxi fahren wir zurück zum Hotel, bringen unsere Einkäufe aufs Zimmer und setzen uns noch ein wenig vor das Haus. Der Wirt kommt heraus und hat ein Päckchen in der Hand. Mit freudestrahlendem Gesicht überreicht er es Dieter: es ist die langgesuchte echte Fahne Myanmars!
Dieter sollte für einen Freund die Flagge von Myanmar

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besorgen, was sich im Nachhinein als ein ziemlich unmöglich zu bewerkstelligendes Unterfangen darstellte. Unser erster Versuch vor vier Wochen in Yangon scheiterte schlichtweg am Unverständnis der befragten Personen. Der zweite Versuch am Inle See versprach zwar mehr Erfolg, weil wir die Hilfe der kleinen einheimischen Freundin von Sabine und Astrid in Anspruch nahmen, aber auch hier kam es nicht zum Abschluss mit der Begründung, aus politischen Gründen würden Fahnen des Landes nicht verkauft – und schon gar nicht an Ausländer. Und erst hier, an unserem letzten Tag in Yangon, hat Dieter endlich das ersehnte Stück in der Hand (und ist 11 US$ ärmer als vorher – 6 Dollar für die Flagge und 5 für den erwiesenen Dienst). Die Fahne ist aus Seide, das Rot leuchtend und die 14 weissen Sterne auf blauem Grund bringen das majestätische der Flagge so richtig zur Geltung.

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Sabine und Astrid kommen auch kurz vorbei; an diesem letzten Abend wollen die beiden ins The Strand Hotel und das versprochene Geburtstagsessen für Sabine mit einem feierlichen Menue begehen. Dieter und ich trinken noch ein Myanmarbier und gehen dann in Richtung Yangonriver, um das Leben am Fluss zu beobachten.

Wir schlendern durch die kleinen Strassen rings um das Viertel, in dem unser Hotel, das Three Seasons, liegt. Nach wie vor begeistert uns das normale Leben und wir brauchen keine grossen Heiligtümer oder Sehenswürdigkeiten, um dieses Land lieben zu lernen. Viel interessanter ist das Leben der einfachen Leute, der Alltag, der sich in allem, was man sich denken kann, von dem unsrigen unterscheidet. Wenn man allein die tausende und abertausende Generatoren betrachtet, die während der stromlosen Zeit das Leben erst möglich machen und für die eine Familie viele Monate, wenn nicht jahrelang sparen muss! Dann sehen wir in den kleinen Gassen fast bis ins sogenannte Wohnzimmer hinein, wo Papa und Mama die kleinsten und jüngsten Bewohner in einer Hängematte in den Schlaf wiegen, während die Oma nebenan schon den Reis fürs Abendessen kocht. Weit entfernt von den üblichen Touristenattraktionen sind hier die Menschen noch unverbraucht und natürlich, ein wenig scheu, aber nichtsdestotrotz freundlich und zuvorkommend.
Langsam gehen wir in Richtung Fluss; der Yangonriver kann nicht weit entfernt sein und schon nach kurzer Zeit können wir die Bothataung Paya sehen; Ihr goldenes Dach glänzt in der Strasse vor der langsam untergehenden Sonne, weist uns den Weg zum Wasser. Vor uns sehen wir einen mit bunten Bildern bemalten Übergang die Strasse überspannen. Die Bilder stellen Situationen aus dem Leben Buddhas dar und sind wunderschön nach Art der naiven Malerei dargestellt. Es sieht aus wie ein Eingang, ist tatsächlich aber der Zugang zum kleinen Fährhafen am River. Links und rechts säumen Essensstände den Weg zum Wasser und wie immer fallen uns auch hier die Frauen mit ihren von der Tanaka-Paste verzierten Gesichtern auf. Da die Paya nebenan liegt, ist es nicht weiter verwunderlich, dass auch hier deutlich darauf aufmerksam gemacht wird, dass nichts im Leben – und schon gar nicht in Myanmar – kostenlos ist. Vor allem Touristen müssen zahlen, wie ein Schild am Eingang der Paya deutlich macht: Counter for Addmission fees for foreigners – mit anderen Worten: Ausländer müssen eben zahlen.
Von Payas und Pagoden haben wir eigentlich genug und den Höhepunkt bildete vor allem die Shwedagong-Pagode, deshalb sind Dieter und ich uns schnell einig: diese Pagode lassen wir aus, lieber gehen wir direkt zum Steg, an dem die Fährboote an- und ablegen.

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Fährboote – naja! Nicht viel grösser als ein Ruderboot werden zum Teil mehr als 20 Menschen mit allem Gepäck und nicht weniger oft mit ihren Tieren von einem Ufer zum nächsten transportiert. Immer wieder sind wir darüber erstaunt, wie sicher selbst alte Menschen ohne Hilfe in diese wackligen Boote steigen! Es gibt keine Geländer und ganz selten mal ein Seil, an dem sie sich festhalten können und dennoch steigen sie mit einer schlafwandlerischen Selbstverständlichkeit auf dünne Stege, Bootswände oder morsche Planken – für uns Westler unvorstellbare Umstände! Eine solche Anlegestelle wäre längst den Behörden zum Opfer gefallen und das Volk hätte sehen müssen, wie es weiter kommt. Eine Zeitlang beobachten wir das Kommen und Gehen, die perfekten Manöver der Bootsführer und das Treiben der kleinen Händler direkt am Steg, dann geht langsam die Sonne unter und wir versuchen – Dieter mit der Filmkamera und ich mit dem Fotoapparat – ein paar stimmungsvolle Szenen des letzten Abends in Myanmar, in Yangon, festzuhalten, was uns zu unserer grossen Freude auch gelingt.

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Jetzt fehlt uns zu unserem Glück eigentlich nur noch etwas zu essen und Durst haben wir auch – also wandern wir langsam in Richtung Hotel zurück. Plötzlich finden wir uns in einem islamischen Viertel wieder; die Frauen sind vermummt, die Männer würdigen uns kaum eines Blickes. Unser Durst wird immer grösser und so gehen wir ungeachtet der merkwürdigen Blicke in einen kleinen Imbiss, der aber mehr einer Küche als einem Restaurant gleicht. Der Boden ist geplättet, linkerhand befindet sich die Küche, rechterhand stehen ein paar roh zusammen gebaute Tische und Stühle – fertig ist das Restaurant.
Im Mittelteil sitzt an einem erhöhten Pult eine dicke Mama, die das ganze Geschehen fest im Blick hat. Bei ihr wird das Essen geordert, die Drinks bestellt und vor allem die Kasse gemacht. Wie eine Königin thront sie über ihrem kleinen Reich, ihren Adleraugen entgeht nichts und alle sind ihr allein Rechenschaft schuldig. Dass es sich um ein muslemisches Restaurant handelt, bemerken wir ganz schnell: es gibt kein Bier! Unsere Nachfragen werden nur mit einem verlegenen Lächeln beantwortet, dann Schulterzucken: wir sind auch mit Cola und Wasser zufrieden. Dieter geht nochmal zur Toilette und dann aber nichts wie raus aus diesem Viertel – die nichtmuslemischen Burmesen sind uns doch lieber. Bald sind sehen wir schon unser Hotel und gleich finden wir auch ein kleines, gemütlich aussehendes Restaurant, in dem wir noch ein wunderbares Abendessen geniessen und dann gehen wir zum Hotel.
Wir holen uns ein kühles Bier und setzen uns in der lauen Nacht auf die kleine Bank vor dem Eingang, wo uns Sabine und Astrid wenig später treffen. In wehmütiger Stimmung besprechen wir noch einmal all unsere Erlebnisse und wir sind uns einig: das ist zwar unser erster Besuch in Myanmar, aber es wird nicht unser letzter sein! Zu gross und überwältigend sind die Eindrücke, die dieses Land auf uns gemacht hat und vor allem die Freundlichkeit der Menschen, die uns immer wieder beeindruckt.
Die Gespräche nehmen kein Ende, immer wieder fallen uns besondere Erlebnisse ein und erst nach zwei Stunden verabschiede ich mich, um schon mal meinen Rucksack zu packen, denn morgen geht’s in der Früh zum Flughafen, wo um 10:00 Uhr unser Flieger nach Bangkok geht. Dort werden sich unsere Wege trennen, denn die beiden Mädels werden gleich weiterfliegen nach München, während unser Flieger erst um Mitternacht in Richtung Frankfurt startet und wir somit noch einen ganzen Tag in Bangkok verbringen können.

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